Hä? Schon da?

Hä? Schon da?

Nee, zumindest nicht auf Faial. Viele Grüße von Bermuda!
Ich wollte ja von Antigua auf die Azoren. Geworden ist daraus 4 Tage nach Nordost in Richtung Azoren und dann aber schnell „nach links abbiegen“ nach Bermuda, weil: ich bin 4 Tage nach Norden gesegelt, konnte sogar schon ein wenig Strecke nach Osten gut machen. Am Dienstag nach Ostern habe ich um 6.00 Uhr morgens WetterWelt um ein Update für mein Streckenwetter gebeten. Das war auch flugs da, mit düsteren Aussichten: Es baut sich zwischen den Azoren und Bermuda ein gewaltiges Orkantief auf, Böen 60+ Knoten (das ist Windstärke 11 von 12 😨) und 5 m Welle. Empfehlung: sofort Kurs Bermuda und dort abwettern – oder rein ins Zentrum, wäre aber nicht ungefährlich. Da fiel die Wahl nicht schwer, ich bin sofort um 90° Richtung Bermuda abgebogen, in strömendem Regen. Ein blöder Kurs zum Wind, nicht genau von hinten, so dass die Einstellung der Segel und der Windsteuerung ewig gedauert hat. Erst um 14.30 Uhr bin ich dazu gekommen, mir das auf der elektronischen Seekarte vernünftig anzusehen. Da waren es noch 400 sm bis Bermuda. Samstag müsste ich dort ankommen, Sonntag wird das Orkantief erwartet – passt also, wenn nichts dazwischenkommt. Aber ohnehin kommt’s, wie’s kommt…
Mittwochmorgen um 6.00 Uhr ist der Wind fast weg, nur noch 5-8 Knoten. Normalerweise dümpel ich dann rum und warte bis der Wind wieder da ist. Aber nicht mit einem Orkantief im Nacken. Also Motor an, Segel runter, munteres knattern. Zuerst schiebt mich noch die Atlantikdünung von hinten an und ich komme gut voran, abends ist die Dünung dann weg und ich wünsche mir den größeren Propeller montiert, der selig unter der Vorkoje schlummert. Ich muss mich zusammenreißen, nicht ständig diese blöde Logge anzustarren – davon werde ich auch nicht schneller.
Donnerstagmorgen aus den Kanistern nachgetankt, kein Spaß bei dem rollenden Boot. Dann kommt etwas Wind auf, aber zuwenig zum Segeln. Egal, sofortg die Segel hoch, das bisschen Wind schiebt trotzdem etwas mit und jedes bisschen zählt jetzt. Tatsächlich erbarmt sich die Logge und zeigt etwas mehr Geschwindigkeit an! Um 8.00 Uhr sind es noch 200 sm, Samstagmorgen müsste weiter klappen. Aber diese ganze Rechnerei nützt überhaupt nix, wenn doch gleich wieder der Wind wegbricht, oder schlimmer noch, auf gegenan dreht.
Ich habe heute Morgen bei WetterWelt nachgefragt, was der Orkan macht, wann er Bermuda trifft. Es bleibt bei Sonntag, aber Samstag gibt es schon Vorboten mit Wind aus Nord, ich würde wohl die letzten Meilen kreuzen müssen! Och nö, vor dem Wind kreuzen ist etwas, was die good old Lady nicht erfunden hat, das würde ich gerne vermeiden. Also weiter an den Segeln zuppeln, um evtl. noch einen Zehntelknoten rauszuholen, auch auf die „Gefahr“ hin, nachts anzukommen. Ich möchte ja eigentlich vermeiden nachts in unbekannte Häfen einzulaufen, aber das ist mir jetzt natürlich wurscht, Hauptsache schnell ankommen. Die Nachtansteuerung von St. Georges auf Bermuda ist grundsätzlich möglich, also einige Fahrwassertonnen sind beleuchtet und Port Control 24/7 besetzt – habe ich schon nachgesehen. Bermuda hat einen ganz komischen „Grundriss“, zum Einklarieren muss man nach St. Georges und fährt vom äußersten Nordostzipfel durch eine Enge quasi in die Insel rein.
In der Nacht zu Freitag werde ich um 12 Uhr vom Umlenkblock der Vorschot geweckt (um 23.00 Uhr hatte ich mich hingelegt und wollte gerne 2 Stunden schlafen), der klackert, das heißt es ist kein Druck mehr im Segel, also wahrscheinlich Winddrehung oder Wind weg. Wir sind um 40° ab vom Kurs, aber das Schiff läuft stabil? Hä? Es dauert bei mir immer etwas, bis ich aus dem Schlaf gerissen wieder komplett da bin. Ein Blick zum elektrischen Autopiloten, der eigentlich arbeiten sollte: liegt daneben und scheint ein Schläfchen im Dienst zu machen! Den hatte ich ja erst auf Guadeloupe neu gekauft. Gestern war mir aufgefallen, dass der kleine Splint, von dem der Befestigungsbolzen gehalten wird, etwas weit raussteht. Ich hatte versucht den Splint wieder reinzutreiben, ging aber nicht. Ok, muss ich mir ansehen, wenn ich da bin. Tja, nachts hat sich der Splint dann weiter rausgearbeitet, bis der Bolzen abgefallen ist. Zum Glück habe ich Splint und Bolzen sofort gefunden! Mit dem Autopilot unter Deck und mit Hammer und Meißel den Splint wieder reingekloppt und den Autopiloten wieder montiert.
Dann kam so viel Wind auf, so dass der Autopilot die Steuerung nicht mehr schaffte, also Motor aus und Windsteuerung in Betrieb genommen, hat aber bei dem böigen Wind nicht geklappt. Also selber einige Zeit gesteuert. Das ist so müde aber auch kein Spaß! Warum hat es eigentlich nicht auch noch angefangen zu regnen?
Na ja, nach einiger Zeit war dann der Wind wieder so weit weg, dass ich das Vorsegel eingerollt habe und der Autopilit wieder ran durfte.
Jetzt ist es 9.00 Uhr und es sind noch 60 Seemeilen – hoffentlich läuft es weiter so gut mit!
Draußen im Cockpit ist es gerade unsagbar schön: strahlend blauer Himmel, kobaldblauer Atlantik, moderate Welle und eine unglaubliche Weite! Kaum zu glauben, das hier in in anderthalb Tagen niemand sein möchte, zumindest ich nicht.
Was überhole ich denn da, sieht aus wie eine Plastikflasche? Nein, meine erste Portugiesische Galeere! Eine Quallenart, die einen Schwimmkörper ausgebildet hat und sich daran übers Meer treiben lässt. Oberhalb des Wassers sieht die richtig schick aus, halbkreisförmig, durchsichtig mit einem rosa bis hellblauen Rand – wie ein Chosson aux Pommes, so eine französische Apfeltasche. Unterhalb des Wassers zieht sie meterlange Fangarme mit einem auch für Menschen giftigen Sekret hinter sich her. Also jetzt besser nix in den Propeller bekommen und ins Wasser müssen zum rausschneiden…
Noch 25 sm. Zum Glück habe ich ein Hafenhandbuch von Bermuda. Dort steht, man muss sich 30 sm vorher per UKW-Funk anmelden. Das habe ich eben gemacht – und mir steht der Schweiß noch auf allen Körperteilen! Also erstmal ist das Funkgerät unten eingebaut, so dass man fast nichts vesteht, wenn der Motor läuft (ich habe noch eine Handfunke für draußen, aber die reicht nicht so weit). Also den Motor soweit gedrosselt, dass noch genug Fahrt zum Steuern im Schiff ist. Es meldet sich sofort eine ausgesucht höfliche, aber sehr bestimmte Stimme in immerhin bestem Schulenglisch, die eine ewig lange Latte an Dingen abfragt, die bisher noch nirgendwo interessiert haben: Rufzeichen, MMSI-Nr., was meine Absicht ist, letzte Wartung der Rettungsinsel, AIS an Bord, Seekarte für die Bemudas an Bord, die UNI-Nr. meiner EPIRP, …. Da ich keinen Test habe, darf ich nach dem Einklarieren nicht von Bord.
Noch 4-5 Stunden, dann kann endlich der Motor aus!
Noch knapp 3 Stunden. So langsam bekomme ich mit, dass gerade eine ziemliche Last von mir abfällt. Scheine doch sehr am Leben zu hängen – auch mal eine schöne Erfahrung. Es ist ja nicht so, dass alles andere den Untergang bedeutet hätte, aber ich bin heilfroh, dass mir das Orkantief auf See erspart geblieben ist.
Im Stockdunkeln in St. Georges Harbour eingelaufen, der Mond ist leider noch nicht aufgegangen. Ich vertue mich mit dem Customs-Dock und kurve stattdessen am Superyacht-Dock zwischen den millionenschweren Yachten durch, bis Bermuda Radio sich von sich aus meldet und mir den Weg weist. Big brother is watching you! – aber in diesem Fall sehr hilfreich! Dann endlich das Customs-Dock! Wieder viel Papierkram, aber alle sehr nett. Und endlich ein Englisch, wo ich nicht bei jedem Satz nachfragen muss! Ich quengel rum und darf über Nacht am Customs-Dock liegenbleiben. Aber wenn ein anderes Schiff kommt, müsse ich weg, auch mitten in der Nacht! Ja ok, das Risiko gehe ich ein. Morgen ab 9.00 Uhr soll ich wieder im Büro vorbeikommen, dann wird das mit dem Test geklärt.
Jetzt erstmal gute Nacht!

Hier noch ein paar Dinge von unterwegs, nix besonderes, wahrscheinlich eher für mich.

14.04.
Der Aufbruch aus der Karibik war relativ unspektakulär. Der Dockmaster fragte beim Ablegen, wo’s denn heute hingehen soll – und machte beide Daumen nach oben 👍!
Jetzt heißt es erstmal wieder in den „Durchfahr-Rhytmus“ zu kommen. Eins zeigt sich schon am ersten Tag: es wird wohl anstrengender als der Hinweg, die erste Woche geht es relativ hoch am Wind mit viel Wind, also immer schräg und immer rauf und runter. Den Kaffee noch halbvoll bis ins Cockpit zu bekommen, ist eine Aufgabe!
Im Cockpit sitzen geht gar nicht, da ständig Wellen überkommen und ich geduscht werde. Trocknet zwar wieder, aber die Klamotten werden total hart vom Salz und unangenehm auf der Haut. Unten kann ich mich nur langsam und mit gut festhalten bewegen, um nicht durch das Schiff zu fliegen. Angeln geht nicht, einen Fisch braten ginge noch viel weniger. Wasser für Tee kochen klappt, aber die Konserven esse ich kalt aus der Dose. Abwaschen geht nicht, da wegen der starken Krängung das Seeventil von der Spüle zubleiben muss, da das Schiff sonst aus dem Abfluss volläuft. Wasser ins Gesicht zu bekommen ist wegen der Krängung auch eine Kunst, ebenso die Zahnpasta auf die Bürste zu bekommen…
17.04.
Letzte Nacht ist die Vorsegelreffleine gebrochen, zum 3. Mal auf dieser Reise. Da viel Wind ist, war sie bis zum 3. Reff eingerollt. Also nackt mit Rettungsweste aufs Vorschiff auf allen Vieren und von Hand einrollen und später behelfsmäßig eine neue Leine einziehen. Was für ein Scheiß! Zudem killte das Segel wohl einige Zeit zu lange, so dass die eine Vorschot fast durchgescheuert ist. Langsam gehen mir die Leinen aus!
Heute hat der Wind etwas nachgelassen auf 20-25 Knoten und verliert die Nordkomponente, kommt also aus Ost und ich kann etwas Höhe gewinnen.
Eben wird das Schiff langsamer und die Segel killen – was ist denn jetzt wieder? Das Pendelruder der Windsteueranlage, die hinten außen am Boot hängt, hat sich im Gelenk ausgehakt und wird wirkungslos durchs Wasser gezogen. Dabei hatte ich es vor der Abfahrt extra noch mit einem Tampen gesichert. So ein Kack, also wieder nackt mit Rettungsweste über den Heckkorb steigen und das Ding mit dem Bootshaken wieder in Position bringen. Was mache ich denn jetzt, wenn das ständig passiert?
18.04.
Endlich nimmt der Wind auf 15-20 Knoten ab und das Schiff bockt nicht mehr ganz so arg. Ich habe mich mal ins Cockpit getraut – und wurde prompt von einer Welle geduscht. Mittlerweile ist draußen alles von einer immer dicker werdenden, schmierigen Salzschicht überzogen. Und auch drinnen wird es salziger. Wenn ich mich irgendwo hinsetze, bleibt ein weißer Salzrand zurück.
19.04.
Kursänderung auf Bermuda, siehe oben.


0. Tag, Donnerstag, 14.04, 10:30 Uhr los, 2.570 sm bis Horta

1. Tag, Freitag, 15.04., 106 sm
Nachts 1 weißes Licht, wahrscheinlich ein Fischer, kein AIS-Signal.

2. Tag, Samstag, 16.04., 119 sm
Tagsüber 1 AIS-Signal, in Sicht, angefunkt, Segelboot in 5 sm Abstand.

3. Tag, Sonntag, 17.04., 113 sm
Tagsüber 1 AIS-Signal, Frachter, außer Sicht

4. Tag, Montag, 18.04., 116 sm
Abends 2 AIS-Signale, beide in Sicht, 1 Frachter, 1 Tanker, der Tanker hat in 1,7 sm mein Heck passiert. Ich habe ihn angefunkt und gefragt, ob er mich sieht: jetzt ja!

5. Tag, Dienstag, 19.04., morgens Kursänderung auf Bermuda
Nichts gesehen.

6. Tag, Mittwoch, 20.04., 120 sm
Tagsüber 1 Frachter in Sicht und auf dem AIS, ist mir ohne Aufforderung ausgewichen.

7. Tag, Donnerstag, 21.04., 118 sm
Nachts 1 AIS-Signal, aber >20 sm entfernt

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4 thoughts on “Hä? Schon da?

    • Author gravatar

      Spannender als jeder Krimi! Zwischendurch dachte ich mehrmals: Muss ja gut ausgegangen sein, sonst könnte ich den Bericht jetzt nicht lesen. Dann drücke ich die Daumen, dass auch der Orkan dir und der GOL nichts anhaben werden! Wenn du nach all diesen Abenteuern zurück auf Niedersachsen Boden bist, kann dich eigentlich nichts mehr wirklich aus der Ruhe bringen. Liebe Grüße Karin!
      🇧🇲 ?? War da nicht auch dies berüchtigte Dreieck?🤔 Oder verwechsele ich da was?

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      Du meine Güte, wie viele Nächte hast du denn daran geschrieben? Die Anmerkungen von Karin treffen es genau!
      Wollte es Mutter vorlesen, aber die ist bereits nach der Hälfte aus dem Zimmer gerannt; sie konnte die Schreckensmeldungen von ihrem Sohn nicht ertragen.
      Sie möchte den Rest hören, wenn du wieder zu Hause bist.
      Habe mit einem passionierten Segler aus Schledehausen gesprochen, der mit seinem 50 Fuß-Boot bereits zweimal in der Karibik war und jede Rückfahrt als „die Hölle“ beschrieb. Dabei waren die zu dritt.
      Die kannten aber noch nicht deinen Wetterfrosch.
      Zum „Bermuda-Dreieck“ gibt es aus dem Jahr 1974 ein tolles Buch von Charles Berlitz. „Das BD – Fenster zum Kosmos“.
      Jetzt heißt es wohl erst mal einkaufen: Diesel, Leinen, Tampen etc.
      Weiterhin viel Glück!

    • Author gravatar

      Beim Betrachten von Bild Nr. 4 kommt einem die Assoziation „ganz schön schräg, so eine Überfahrt“.

    • Author gravatar

      Ich schließe mich an, spannender als der Krimi, den ich gerade lese. Die Sache mit dem Buch ist ja wohl noch nicht vom Tisch!

      Wenn ich das richtig sehe, hast du zumindest das ominöse Bermudadreieck überstanden. Mir sind gleich die gleichnamigen Shorts eingefallen. Laut Wikipedia werden sie zusammen mit Kniesocken, Hemd und Krawatte getragen. Du solltest shoppen gehen. Dazu Crocs, damit wärst du der neue Kammer-Trendsetter ☺️
      Gute Weiterfahrt!

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